20 Okt Zuzugsregion Nordfriesland – Neue Ansätze für die Wirtschaftsförderung
7 Fragen, 20 Perspektiven, 35 Minuten, jede Menge Energie
„Welche Rahmenbedingungen müssen wir schaffen, damit sich Menschen in Nordfriesland ansiedeln?“ Dies war das Thema einer Session, die ich auf dem Beachcamp SPO angeboten habe. 20 Teilnehmer hatten Interesse, sich dieser klassischen Frage der Ansiedlungspolitik und Wirtschaftsförderung auf eine etwas andere Art zu nähern.
Die Digitalisierung ermöglicht es immer mehr Menschen, von einem beliebigen Ort aus zu arbeiten. Dieser Aspekt wird beim Thema Zuzug und Ansiedlung noch nicht ausreichend berücksichtigt. Und so nutzte die Wirtschaftsförderung Nordfriesland die Chance, beim Beachcamp SPO mit dieser Zielgruppe ins Gespräch zu kommen.
Ziel der Session: Die Menschen verstehen, die nach Nordfriesland ziehen wollen – ihre Motivation, Bedenken, Hindernisse -, um auf dieser Grundlage neue Angebote entwickeln zu können.
Hierzu habe ich den Teilnehmern 7 Fragen gestellt, die sie in kleinen Gruppen von 2 bis 5 Personen diskutieren sollten. Jeweils 5 Minuten gab es pro Frage, danach ging es zur nächsten Frage. Nach 35 intensive Minuten voller Energie und Dynamik hatte sich jeder mit allen Fragen beschäftigt. Die Menge der gesammelten Datenpunkte hat alle überrascht.
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- Beschreibt eine Person, die nach Nordfriesland ziehen möchte.
(Name, Alter, Beruf, Wohnort, Familienstand, Lebensabschnitt, Hobbies, …) - Welche Beweggründe haben Menschen, die nach Nordfriesland ziehen wollen?
- Welche Hindernisse stehen einem Umzug nach Nordfriesland im Weg? Denkt an privates, berufliches und gesellschaftliches Umfeld!
- Wie bleibt jemand, der nach Nordfriesland ziehen will, mit seinem Traumort in Verbindung?
- Welche Angebote oder Dinge benötigen Menschen in Nordfriesland, um nicht hier wegziehen zu müssen? Denkt an alle Altersgruppen!
- Welche Fragen hat jemand, der nach Nordfriesland ziehen will? Wo bekommt er/sie Antworten?
- Welche Angebote können jemanden unterstützen, der nach Nordfriesland ziehen will?
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Die Teilnehmer der Session waren dabei bunt gemischt. Menschen aus Nordfriesland – welche, die erst kürzlich zugezogen sind – andere, die gerne herziehen würden oder zumindest mehr Zeit hier verbringen wollen. Selbständige und Angestellte. IT, Medien, Marketing, Tourismus, Medizin, Politik, Wirtschaftsförderung …
Das gesammelte Material habe ich anschließend thematisch geclustert. Hier sind nun die Ergebnisse. Dabei steht im Zentrum, die wichtigen Fragen zu identifizieren, nicht bereits Lösungen zu präsentieren.
Zuzug: Wer spielt mit dem Gedanken?
Wer sind die Menschen, die nach Nordfriesland ziehen wollen? In welcher Lebensphase befinden sie sich? Natürlich lässt sich diese Frage in wenigen Minuten nicht vollumfänglich beantworten, aber es zeigen sich doch einige grundsätzliche Aspekte.
Allen gemeinsam: Ein neuer Lebensabschnitt
Vor allem zwei Aspekte stechen hier hervor:
- Erst ab Mitte 30 – nach Ausbildung, Berufserfahrung und Familiengründung – kommt ein Umzug / Rückkehr nach Nordfriesland in Frage.
- Der Umzug nach Nordfriesland stellt ganz klar einen neuen Lebensabschnitt dar. Es handelt sich nicht um den klassischen, berufsbedingten Umzug. Dies wird insbesondere bei den Beweggründen deutlich.
Ohne Frage taucht hier auch der Zuzug im Alter nach Beendigung des Berufslebens als Option auf, ist aber aus Sicht von Wirtschaftsförderung und Zukunftssicherung weniger relevant. Aus Sicht des demographischen Wandels gilt es vor allem, für ein ausgeglichenes Verhältnis von alt und jung zu sorgen
Der Job muss sich unterordnen
Die Frage nach den Beweggründen gibt ein sehr aufschlussreiches Bild. Viele Umzüge sind berufsbedingt – neuer Job, der nächste Karriereschritt. Der Rest muss sich unterordnen. Aus Sicht der Teilnehmer zeigt sich für Nordfriesland hier ein Gegenentwurf:
- Der Zuzug nach Nordfriesland wird als alternatives Lebensmodell wahrgenommen, als Gegenpol zur hektischen Stadt und einem beruflich dominierten Leben.
- Das Naturerlebnis mit seiner entschleunigenden Wirkung wird hervorgehoben.
- Auch gesundheitliche Gründe können ein Beweggrund sein.
- Emotionale Aspekte (Weite, Freiheit, Selbstbestimmung) dominieren.
Menschen, die mit dem Gedanken spielen, nach Nordfriesland zu ziehen, erhoffen sich also einen Gewinn an Lebensqualität.
Bedenken und Hindernisse
Viele Menschen träumen von dem oben aufgezeigten alternativen Lebensentwurf. Um aber als Region hiervon profitieren zu können, müssen die Hindernisse und Bedenken, die einen solchen Schritt begleiten, verstanden werden. Nur so ist es möglich, diese zu verringern oder zu entkräften.
Die Basics: Job, Wohnen, Finanzen
Die berufliche Herausforderung ist zwar nicht die treibende Kraft hinter einem Umzug an die Küste. Aber natürlich steht die Frage nach einem Einkommen und der Finanzierbarkeit eines solchen Schritts im Zentrum der damit verbundenen Überlegungen. Welche Jobs gibt es vor Ort? Kann ich meine bisherige Tätigkeit von dort ausüben? Bleibt meine Karriere auf der Strecke, wenn ich nicht im Büro bin, sondern im Home Office arbeite? Wie sieht es mit Aus- und Weiterbildung aus? Soll ich mich selbständig machen? Gibt es dort Kunden für mich?
Die Frage nach bezahlbarem und attraktivem Wohnraum vermutet man zunächst eher im städtischen Umfeld und nicht im ländlichen Raum. Hier zeigt sich aber eine Besonderheit gerade in St. Peter-Ording. Der Boom der letzten Jahre hat zu einer deutlichen Verteuerung und Verknappung des Wohnraums geführt. Dies ist vielleicht eher ein Bereich, in dem Aufklärungsarbeit geleistet und Transparenz geschaffen werden muss. Nicht jeder möchte nach SPO ziehen und die Preise ausserhalb sind deutlich geringer.
Grundversorgung
Der zweite größere Themenblock zum Thema Hindernisse und Bedenken bildet die Grundversorgung. Allen voran steht die Frage nach medizinischer Versorgung und Versorgung im Alter. Aber auch die Kinderbetreuung und das Schulangebot sind wichtige Aspekte.
Neben Einkaufsmöglichkeiten tritt als Infrastrukturthema auch die Versorgung mit schnellem Internet auf. Dass dieses Thema nicht so prominent wie erwartet zu Tage tritt, mag dem guten WLAN am Veranstaltungsort (Campus Nordsee) geschuldet sein.
Ein Aspekt, welcher mehrfach im Rahmen des Beachcamp SPO auftauchte, ist das Thema Mobilität. Ohne individuelle Mobilität – sprich das eigene Auto – ist ein Leben auf dem Land (derzeit) kaum vorstellbar. Menschen aus der Stadt haben hingegen immer häufiger kein Auto und bewegen sich entweder mit dem ÖPNV oder greifen auf Car Sharing Angebote zurück. Die Möglichkeiten des Car Sharings im ländlichen Raum wurden übrigens in einer separaten Session beim Beachcamp SPO diskutiert.
Insgesamt ist das Thema Grundversorgung vom Blick aus der Stadt auf den ländlichen Raum geprägt. Fragen, die in der Stadt als beantwortet angesehen werden, bekommen beim möglichen Umzug nach Nordfriesland eine neue Relevanz.
Wie das Land, so die Menschen?
Die Norddeutschen werden gerne als zurückhaltend, kühl und Fremden und Fremdem gegenüber als eher verschlossen charakterisiert (nicht zuletzt in der bekannten Bierwerbung). Wie sehr dieses Bild der Küstenbewohner die Bedenken von möglichen Neufriesen prägt, hat mich allerdings selbst überrascht.
Wenn ich mich entschließe, an einen neuen Ort zu ziehen, verlasse ich mein soziales Umfeld. Am Zielort muss ich mir neue Kontakte aufbauen und neue Freunde finden, meinen sozialen Status neu erarbeiten. Wo kann ich Leute kennen lernen? Gibt es Vereine oder Stammtische, die für mich in Frage kommen? Finde ich dort ggf. einen Lebenspartner?
Diese grundsätzlichen Bedenken werden im Falle von Nordfriesland durch weitere, auf (vermuteten) kulturellen Unterschieden beruhende Fragen verstärkt. Wollen die Einheimischen mich überhaupt? Gibt es eine Willkommenskultur? Wie stehen die Menschen vor Ort einem alternativen Lebensentwurf gegenüber? Bekomme ich einen Provinzkoller?
Diese Bedenken müssen ernst genommen und adressiert werden, können nach meiner persönlichen Erfahrung aber gut entkräftet werden.
Ein weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang ist die Frage nach dem intellektuellen Austausch und dem kulturellen Angebot. Gerade Wissensarbeiter, die über das Internet arbeiten, sind i.d.R. gut ausgebildet und gewohnt, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Im städtischen Umfeld gibt es entsprechende berufliche Austauschmöglichkeiten und kulturelle Angebote (Webmontage, Coworking, Theater, Hochschulen, etc.). Ein rein virtueller Austausch mit Kollegen wird nicht als gleichwertig angesehen. Hier wird es zukünftig darum gehen, Menschen vor Ort noch besser zu vernetzen, und entsprechende Angebote zu organisieren.
Wie erreichen wir die Menschen?
Jemand, der mit dem Gedanken spielt, nach Nordfriesland zu ziehen, wird versuchen, mit seinem Traumort in Verbindung zu bleiben. Er wird nach Informationen und Signalen suchen, die seinen Wunsch bestätigen. Dies bietet in Umkehrung die Möglichkeit, diese Menschen zu erreichen. Dabei zeigen sich vier Wege:
- Der virtuelle Weg über soziale Medien, Youtube, Foren, aber auch Fersehsendungen oder die Online-Angebote der lokalen Presse.
- Dinge wie Andenken, Informationsbroschüren, Bücher, etc.
- Persönliche Kontakte zu Menschen vor Ort (Vermieter, Menschen, die hierher gezogen sind, etc.)
- Wer Interesse hat, an die Küste zu ziehen, wird immer wieder hierher kommen. Sei es im Urlaub oder zu anderen Aktivitäten.
Es gilt also, diese verschiedenen Kanäle zu nutzen, um Zuzugswillige zu erreichen und bei ihrem Vorhaben zu unterstützen.
Auf der Suche nach Informationen werden Zuzugswillige auch die institutionellen Anlaufstellen aufsuchen. Hierzu gehören der Kreis, zugehörige Behörden und Bürgerbüros. Diese müssen ggf. auf entsprechende Anfragen vorbereitet sein.
Fazit
Die Session beim Beachcamp SPO hat einige grundlegende Erkenntnisse gebracht. Zunächst zeigt die sehr gut besuchte Session, dass das Thema „Leben am Meer“ auf ein breites Interesse trifft. Es gibt viele, die sich mit dem Gedanken auseinander setzen. Nicht nur wir haben den Schritt gewagt. Mittlerweile kennen wir genügend weitere Beispiele von Menschen, die ans Meer gezogen sind. Die Motive und Herausforderungen decken sich dabei mit den Ergebnissen aus der Session. Diese Beispiele bekannter zu machen, würde sicher vielen bei der Entscheidung für ein Leben am Meer helfen.
Die zweite Erkenntnis bezieht sich auf Herausforderungen und mögliche Lösungsansätze. Die Session hat viele Einzelaspekte hervorgebracht, die alle einzeln und mit unterschiedlichen Lösungsansätzen angegangen werden müssen, was über den Rahmen dieser Session deutlich hinausgeht. Gleichzeitig bleibt für den einzelnen Zuzugswilligen die Komplexität der vielen Aspekte erhalten. Dies kann – und dies ist ein wichtiges Ergebnis der Session – nur durch eine zentrale Anlaufstelle adressiert werden. Hier gibt es mit dem sich im Aufbau befindenden Portal Gestatten Nordfriesland der Wirtschaftsförderung bereits erste Ansätze. Auch die Digitale Wirtschaft Schleswig-Holstein engagiert sich zunehmend an der Westküste, da das Potential erkannt wurde.
Wenn man also das Zuzugspotential, welches sich durch die Digitalisierung ergibt, effektiv nutzen möchte, kann das Motto nur lauten: „Wir wollen Euch und wir unterstützen Euch bei Eurem Vorhaben, ans Meer zu ziehen!“